Prof Dr Rüdiger Horstmann

Spagat zwischen Menschlichkeit und Ökonomie

Deutsche haben sich an ihr Gesundheitssystem gewöhnt. Sie lieben es. Erkrankt man im Ausland, will jeder so schnell wie möglich heim. Manchmal liest man, dass es immer teurer wird. Bisher profitieren alle.

In der Hast des modernen Lebens ist die Menschlichkeit aus dem Blick geraten.

© Dalai Lama (*1935)

Wir verstehen unter der Metapher eines Spagats den Versuch, zwei gegensätzliche Positionen zu überbrücken. Wir kennen auch einen „Klassiker“ wie den berühmten „Hut“, unter den wir alles bekommen können/wollen/ sollen. 

Beim Versuch des Spagats findet sich manch einer schon mal zwischen den Stühlen, wie beim Versuch unterschiedliche Gedanken in Einklang zu bringen. Kognitive Dissonanz führt zu einem unangenehm empfundenen Gefühlszustand, oder Schmerzen im Schritt. Eben dorthin fasste sich kürzlich bei einer Bundestagsdebatte eine Rednerin mit dem Verweis, dort tue es ihr weh, wenn sie den Abgeordneten einer anderen Partei höre, der genau das Gegenteil von dem erzähle, was er am Tag zuvor gesagt habe.

Das ist in unserem hohen Haus nicht unüblich. Konrad Adenauer sagte „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern.“ 

Was macht die Menschlichkeit aus?
Letztlich Dinge, die von einem Arzt erwartet werden: Positive Einstellung gegenüber den Mitmenschen, Empathie, Rücksicht.

Was bedeutet Ökonomie?
Sie beschreibt alle Vorgänge, die Angebot oder Nachfrage erschaffen

Deutschland hat sich gefreut: Endlich ein Arzt als Gesundheitsminister, einer der für Menschlichkeit steht. Lauterbach hat 1989 seine ärztliche Prüfung abgelegt und hätte eigentlich zu der Zeit 18 Monate lang als Arzt im Praktikum arbeiten müssen, um die Approbation zu bekommen. Stattdessen studierte er an der Harvard School of Public Health und wurde. 1996 Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie in Köln. Das AIP wurde 2004 abgeschafft, so dass er 2010 die Approbation bekam. Jetzt darf er sich auch Arzt nennen, hat aber nie am Krankenbett gearbeitet. 

Schade. Unserer Gesundheitsminister ist Ökonom, auch wenn er sich Arzt nennt.

Und er hat schon gezeigt, dass er was kann: Covid und Cannabis. Dabei steht unser Gesundheitswesen heute vor weiteren großen Herausforderungen. Das Gesundheitswesen wird immer teurer. Lauterbach träumt von einer Revolution, einer Strukturreform. Viele Akteure wollen, dass es so bleibt, wie es ist. Vielleicht kann man ja an ein paar Stellschräubchen etwas drehen. Das kennen wir in der Politik. Das macht keine Angst.

Die Gesundheitsleistungen betragen in Deutschland aktuell 474 Milliarden Euro. Zum Vergleich belief sich der Bundeshaushalt 2023 auf 476 Milliarden. Über den wird kontrovers diskutiert, über die Leistungen im Gesundheitswesen allenfalls am Rande.

Es wird so viel Geld für Gesundheit ausgegeben. Lohnt sich das auch? Mit 13,2 Prozent des BIP sind wir die Nr. 1 in der EU und die Nr. 3 in der OECD, nur die USA und die Schweiz sind noch kostenintensiver. Dennoch kommt Deutschland bei der Lebenserwartung unter den 38 OECD-Staaten nur auf Rang 24. In den meisten westeuropäischen Nachbarländern ist die Lebenserwartung signifikant höher als hierzulande.

Daraus ergeben sich Fragen hinsichtlich der hohen Kosten des Gesundheitswesens, der Effizienz und Qualität. „Geld ist genug im System.“ Aber wohin fließt es?

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Prof. Dr. Rüdiger Horstmann

Prof. Dr. med. Rüdiger Horstmann, seit 40 Jahren Facharzt für Chirurgie, war Chefarzt und Ärztlicher Direktor eines Krankenhauses in Münster sowie Leiter des Adipositas-Centrums Münster. Er arbeitet jetzt als Buchautor, wird zudem vermehrt als Keynote-Speaker angefragt und ist für Kliniken und Unternehmen als Coach für Teamprozesse mit Schwerpunkt auf der Integration aller Mitarbeitenden tätig.

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