Prof Dr Rüdiger Horstmann

Die Menschen mitnehmen – wie geht das?

Politiker wollen die Menschen mitnehmen - und die Menschen laufen ihnen weg. Heute vor der Wahrheit - morgen vor dem Wasser

Als Chirurg muss ich Menschen mitnehmen und da abholen, wo sie gerade stehen, insbesondere bei lebensverändernden Diagnosen. Ich muss Ihnen also ihre Krankheit erklären und die Konsequenzen und Folgen in der Zukunft genau erklären, damit sie einsehen, an ihrem Lebensstil etwas zu ändern, wenn das nötig ist. Stumpfe Wiederholungen wie „Sie sind krank“ oder „Es steht schlimm um Sie“ reichen nicht aus. Die Beschreibung von Ursachen und konkreten Folgen sind besser verständlich und wirksamer. 

Am Dienstag lautete die Schlagzeile in der Lokalpresse: „Warten auf den großen Regen – Landwirtschaft und Wälder leiden unter Trockenheit.“ Verschiedene negative Aspekte für die Flora werden beschrieben. Die Situation ist schlimm. Die Erde ist krank. Der Bericht wirkt neutral und verzichtet auf eine Analyse der Ursachen und einer Empfehlung, was nun zu tun ist. Zum Schluss wissen die Leser, dass das Problem groß ist und sie wohl selbst kaum etwas daran ändern können. In der danebenstehenden kurzen Kolumne nimmt der Kommentator kein Blatt vor den Mund und nennt den Klimawandel als Ursache. Und weiter: Unser nächstes Ziel sei es, diesen zu bremsen und uns auf die Folgen einzustellen. Das haben wir schon häufig gehört, aber was bedeutet das für jeden von uns persönlich? Den Klimawandel zu bremsen, findet heute jeder gut und denkt: „Politiker, macht mal.“ Der Wissenschaft und den Technikern wird schon etwas einfallen. Ach so, soll ich selbst auch etwas an meinen Lebensgewohnheiten ändern? Davon steht aber nichts in der Zeitung.

Schauplatzwechsel. Am Wochenende in einer bayerischen Bierstadt – es könnte auch irgendwo anders in unserer Republik gewesen sein – haben eine Kabarettistin und ein Augenoptiker zu einer Protestveranstaltung gegen die Regierungspolitik eingeladen. Rund 10.000 Menschen sind gekommen, unter anderem auch der Ministerpräsident. Er wird gnadenlos ausgepfiffen, da man heute selbst als konservativer Politiker die Folgen des Klimawandels nicht mehr komplett ausblenden kann und verbale Attacken gegen die Ampel nicht mehr ausreichen, von allen Wählern gemocht zu werden. Als letzter Redner ist der Chef der Freien Wähler an der Reihe: „Versammelt haben sich hier Bauern, Handwerker, Mittelständler, Hausbesitzer, Autofahrer, Fleischesser – Leute, die heute mit Sicherheit etwas Besseres zu tun hätten, als den Berlinern zu sagen, was sie falsch machen. Wir wollen unsere Demokratie zurückholen. Der Bürger will in der Mehrheit, dass Papa und Mama gilt. Dass wir Fleisch essen dürfen. Dass wir Auto fahren dürfen. Dass wir Holz verheizen dürfen. Dass sich Arbeit wieder lohnt.“ Und dann kommt eine Ansage an die Medien: Stellt euch endlich an die Seite der normalen Bevölkerung. Berichtet mehr über die normalen Leute und nicht über den 17-jährigen Klimakleber aus reichem Haus.“ Unbändiger Jubel.

Bei einer Bürgerdiskussion im Fernsehen mit dem Bundeskanzler war ein Mitglied der „letzten Generation“ anwesend. Die pensionierte Lehrerin passt so gar nicht in das allgemein beschriebene Bild der Klimakleber. Dass sie sich sehr sorgt, auch nicht. Im Laufe der Sendung wird der Kanzler angesichts sinkender Umfragewerte für seine Partei von der Moderatorin gefragt, wie er denn die Menschen in Zukunft mitnehmen wolle. Der Kanzler befand, dass man nicht alle Menschen mit extremen Positionen mitnehmen könne. 19 Prozent für die AFD sind schon eine Menge nicht Mitgenommener..

Als Chirurg würde ich meinen, dass man dem Menschen heute schon bekannte und wissenschaftlich fundierte Prognosen für die Zukunft zumuten kann. Wenn man sie im Unklaren lässt und ihnen nicht auch mit drastischen Worten und Bildern ihren eigenen Anteil am Klimawandel klarmacht, kann man ihnen nicht verdenken, dass sie so weiterleben wollen wie bisher. Ein Beispiel für ein drastisches Bild aus unserem Nachbarland: Im historischen Krameramtshaus in Münster befindet sich das Haus der Niederlande mit einer aktuellen Ausstellung, die den Namen „Oostwaards“ trägt. Können die urbanen Ballungsräume im Westen der Niederlande langfristig geschützt werden oder muss man sich schrittweise mit der Idee eines Rückzugs gen Osten des Landes anfreunden? Die Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass die Deiche auf Dauer nicht halten werden, der Zeitpunkt der Katastrophe ist noch unklar. Vielleicht schon in diesem Jahrhundert. An eine Migration von Westen haben wir bisher noch nicht gedacht. Acht Millionen Niederländer mit ihren Wohnwagen auf dem Weg nach Westfalen und ins Sauerland.

Wenn man sich die Landkarte anschaut, wird es in Deutschland für unsere Enkel oder deren Kinder auch einen Vorteil geben. Es ist nicht mehr so weit bis zur Nordsee.

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Prof. Dr. Rüdiger Horstmann

Prof. Dr. Rüdiger Horstmann

Prof. Dr. med. Rüdiger Horstmann, seit 40 Jahren Facharzt für Chirurgie, war Chefarzt und Ärztlicher Direktor eines Krankenhauses in Münster sowie Leiter des Adipositas-Centrums Münster. Er arbeitet jetzt als Buchautor, wird zudem vermehrt als Keynote-Speaker angefragt und ist für Kliniken und Unternehmen als Coach für Teamprozesse mit Schwerpunkt auf der Integration aller Mitarbeitenden tätig.

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