Prof Dr Rüdiger Horstmann

Fettspeicher von Mutter Erden

Eine Milliarde Jahre ist eine lange Zeit. Mit der Metapher eines virtuellen Jahres kann man sich diese Dimension etwas besser vorstellen. Wir lernen, die Verhältnismäßigkeit besser einzuschätzen.

Was hat Fettleibigkeit beziehungsweise Adipositas mit fossilen Brennstoffen zu tun? In beiden Fällen handelt sich um Ablagerungen überschüssiger Energie. Der Mensch ist froh, diese loszuwerden, also das Fett zu verbrennen. Für Mutter Erde hat es dagegen negative Konsequenzen, wenn die abgelagerte Energie zu schnell verbrannt wird. Oder präziser: Es hat schlimme Konsequenzen für uns, die auf diesem Planeten lebenden Menschen. Der Erde selbst ist es gleichgültig, ob sie wieder „schlank“ ist oder nicht. 

Ich habe mich als Arzt und Chirurg viele Jahre lang mit der Krankheit „Adipositas“ beschäftigt. Sie darf nicht verwechselt werden mit dem Lifestyle-Problem Übergewicht. Seit etwa 50 Jahren hat sich die Fettleibigkeit wie eine Pandemie weltweit ausgebreitet. Ein Merkmal des Lebens im Wohlstand. Der Mensch speichert überschüssige Energie im Körperfett, aber auch in der Leber und Muskulatur. Benötigt er die Energie, kann er auf die Speicher zurückgreifen. In der Regel sollte man nur so viel Energie aufnehmen, wie man wirklich benötigt. Aber Adipöse führen kontinuierlich mehr zu. Das klingt banal, die Ursachen und deren Behandlung sind umso komplizierter. Mit beidem habe ich mich ausführlich in meinem Buch „Raus aus der Adipositas“ beschäftigt (Springer Nature, 2. Aufl. 2023).

Unser Planet Erde hat das gegenteilige Problem. Er lagerte ebenfalls in der Vergangenheit eine Menge an überschüssiger Energie ab. Gespeichert wurde das Zuviel in Form von Kohle, Erdöl und Erdgas. Dann entdeckte der Mensch diese Speicher und begann, sie zu fördern und zu verbrennen – nach und nach sowie Jahr für Jahr immer mehr. So kam es zum Ausstoß klimaschädlicher Emissionen und zum Klimawandel, den wir heute schon spüren.

Übergewichtige und Adipöse müssen durch eine andere Ernährung und mehr Bewegung wieder lernen, sich täglich nur so viel Energie zuzuführen, wie sie verbrauchen. Die Menschheit muss lernen, nur so viel Energie zu verbrauchen, wie sie täglich produzieren kann. Nur dann entweicht lediglich so viel Kohlenstoffdioxid in die Atmosphäre, wie gleichzeitig abgebaut und umverteilt werden kann. Dadurch könnte weltweit der Treibhauseffekt reduziert werden. Und damit würden wir den negativen menschlichen Einfluss auf das Klima verringern.

Wie und über welchen Zeitraum sind fossile Brennstoffe entstanden? Kurz gesagt aus den Abbauprodukten toter Pflanzen und Tiere – und zwar über Millionen von Jahren. Da ist einiges zusammengekommen. Wissenschaftler gehen davon aus, dass es vor etwa einer Milliarde begonnen hat. Eine unvorstellbare lange Zeit! Setzen wir sie einmal mit einem virtuellen Jahr gleich. Wenn vor einer Milliarde Jahre der 1. Januar dieses virtuellen Jahres gewesen wäre, wäre die Erde zu dem Zeitpunkt bereits dreieinhalb virtuelle Jahre alt gewesen. Zunächst hatte sie nur aus glühendem geschmolzenen Gestein bestanden. Ein Jahr vorher war erstes Leben in Form von Blaualgen, also bakterienartigen Einzellern, aufgetreten. Die daraus entstandene Biomasse war kaum der Rede wert. Zu Beginn waren daher die schichtweisen Ablagerungen geringer, aber mit der Zeit wurden Flora und Fauna immer üppiger. Im Ergebnis entstanden so die riesigen Gas-, Öl- und Kohlereservoirs. Sie befinden sich in unterschiedlicher Tiefe unter der Oberfläche von Land und Meer.

Dinosaurier traten in der ersten Oktoberwoche auf und waren Anfang Dezember wieder ausgestorben. Der erste Urmensch, Homo Rudolfensis, erschien erst in den Morgenstunden des Silvestertages auf der Bildfläche. Und der Homo sapiens, der moderne Mensch, sogar erst zweieinhalb Stunden vor Mitternacht. Er war zunächst Sammler, dann auch Jäger und entschloss sich um 23.54 Uhr zur Sesshaftigkeit. Sechs Minuten vor Mitternacht also. Christi Geburt fand auf dieser Skala eine Minute vor Mitternacht statt. 

Macht man sich das bewusst, wird klar: Die Ablagerungen überschüssiger Energie werden von uns Menschen in atemberaubend hohem Tempo verbraucht. Und nur wenn wir diesen Verbrauch radikal verlangsamen und schließlich stoppen, werden wir den Klimawandel begrenzen können!




Prof. Dr. Rüdiger Horstmann

Prof. Dr. Rüdiger Horstmann

Prof. Dr. med. Rüdiger Horstmann, seit 40 Jahren Facharzt für Chirurgie, war Chefarzt und Ärztlicher Direktor eines Krankenhauses in Münster sowie Leiter des Adipositas-Centrums Münster. Er arbeitet jetzt als Buchautor, wird zudem vermehrt als Keynote-Speaker angefragt und ist für Kliniken und Unternehmen als Coach für Teamprozesse mit Schwerpunkt auf der Integration aller Mitarbeitenden tätig.

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