Prof Dr Rüdiger Horstmann

Handeln unter Druck

Entscheidungen im Stress und Handlungen unter Druck sind Herausforderungen im Hochrisikobereich, im Management, aber auch im täglichen Leben. Wie kann es gelingen, immer einen "kühlen Kopf" zu behalten?

„Je länger die Operation dauerte, desto näher kamen wir dem Tumor. … plötzlich aber passierte etwas, das im Grund unter keinen Umständen passieren darf, aber eben dennoch nicht hundertprozentig zu vermeiden ist. Wie aus dem Nichts heraus kam es zu einer hellroten, heftig spritzenden Blutung – und das, ohne dass wir die genaue Stelle im Gewebe ausmachen konnten, die verletzt war. Für Ursachen-Forschung ist bei so einem Ereignis kaum Zeit. Es ist eine lebensbedrohliche Komplikation, ja, mehr noch, es wird mit Sicherheit zum Tod des Patienten führen, wenn man sie nicht in den Griff bekommt. So gab es nur eine Reaktion: sofortiges entschlossenes Handeln. In diesem Fall ein Handeln unter Druck, das immer spontan und womöglich anders geartet ist als das, zu dem man sich in Ruhe entscheiden kann, wenn keine akute Bedrohung besteht.“ 

Was nun? Rechts ranfahren ist nicht möglich. Entscheidungen unter Druck und mit weitreichenden Konsequenzen gehören zu den Herausforderungen des Berufs. Wie geht der Chirurg/die Chirurgin damit um? Wie gehen Sie mit Druck und Entscheidungen im Stress um? Der Fortgang der Geschichte im Operationssaal ist in meinem Buch „Was die Chirurgie fürs Leben lehrt“ ausführlich beschrieben.

In jedem Beruf gibt es Stress. Wie stark er empfunden wird, ist immer subjektiv. Beim Stress geht es im Grunde um Angst. Angst etwas falsch zu machen. Angst zu versagen. Existentielle Angst. Beim Piloten geht es sogar auch um sein eigenes Leben, beim Chirurgen um das Leben des Patienten. Stress erzeugt eine spontane Reaktion des Körpers auf eine unvorhergesehene bedrohliche Herausforderung: fight, flight oder freeze.

Wenn Sie sich auf die Verhandlung über einen großen Auftrag gut vorbereitet haben, dann aber einen wichtigen Aspekt nicht beachtet haben und der Deal zu scheitern droht, ist Weglaufen oder sich Totstellen keine Option. Und Kampf bedeutet in der heutigen Zeit, seine Ängste und anderen Emotionen soweit im Griff zu haben, dass Sie mit klarem Verstand Ihre bestmögliche Leistung abrufen können. Das gleiche gilt für eine Prüfung oder Bewerbung, wenn eine Frage gestellt wird, mit der Sie nun gar nicht gerechnet haben. Im Stress kann man sich schon mal um Kopf und Kragen reden.

Aber auch scheinbar banaler, in unserem täglichen Leben sind wir manchmal gefordert, Entscheidungen unter Druck zu treffen. Wie verhalten Sie sich, wenn Sie wie aus heiterem Himmel von jemandem in diskriminierender Art und Weise angesprochen werden? Wie verhalten Sie sich, wenn noch zwei Kunden bedient werden wollen, obwohl Sie schon Feierabend haben? Wie reagieren Sie, wenn Sie von einem Polizeiwagen angehalten werden und nicht genau wissen, ob Sie nicht vielleicht zu schnell gefahren oder gegen irgendeine andere Regel verstoßen haben? Und was machen Sie zum Beispiel, wenn Ihr Partner mit Ihnen in einer Art und Weise spricht, die Sie als beleidigend und respektlos empfinden?

Hinter all diesen Fragen steckt eine einzige, sehr wichtige, die Sie sich unbedingt beantworten sollten: Wie handlungsfähig bin ich, wenn ich gestresst bin, wenn ich unter starkem Druck stehe? – Wenn Ihre Antwort „Da raste ich schon einmal aus und sage Dinge, die ich später bereue“ oder „Da fühle ich mich machtlos und verliere die Sprache“, gilt es, etwas dagegen zu unternehmen. Sind es regelmäßig dieselben Situationen, in denen Sie nervös werden und nicht mehr rational agieren, so überlegen Sie sich, ob es dafür nicht Routinen gibt, die Sie einüben können. Doch ganz egal, welche Situationen Sie persönlich unter Druck setzen, grundsätzlich helfen dieselben vier Punkte, die uns bei der schwierigen Operation einen kühlen Kopf haben bewahren lassen und zum Erfolg geführt haben: 

  1. Gewinnen Sie zunächst einmal Zeit. 
  2. Atmen Sie dann tief durch (dadurch gelangt wieder Sauerstoff ins Gehirn). 
  3. Entwickeln Sie einen Plan, indem Sie sich überlegen, worauf es jetzt ankommt.
  4. Führen Sie anschließend die einzelnen Schritte nacheinander durch. 

In solchen Situationen kommt es nicht auf Perfektion an, aber darauf, dass Sie Ihre bestmögliche Leistung abrufen.

Insbesondere Führungskräfte als wichtigste Vorbilder im Unternehmen müssen sich mit Ihrem Verhalten unter Stress beschäftigen, denn danach werden Sie von Ihren Mitarbeitern beurteilt. Ihr Handeln im Konfliktfall wird bewertet, nicht ihre Worte und auch nicht ihr Handeln im konfliktfreien Raum. Mitarbeiter orientieren sich daran, wie ihre Chefs mit Problemen umgehen, ob sie es schaffen, Ruhe zu bewahren und trotz Stress klar zu entscheiden und Lösungen zu finden. Gelingt Ihnen das, werden diese Fähigkeiten auch im Team gefördert.

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Prof. Dr. Rüdiger Horstmann

Prof. Dr. Rüdiger Horstmann

Prof. Dr. med. Rüdiger Horstmann, seit 40 Jahren Facharzt für Chirurgie, war Chefarzt und Ärztlicher Direktor eines Krankenhauses in Münster sowie Leiter des Adipositas-Centrums Münster. Er arbeitet jetzt als Buchautor, wird zudem vermehrt als Keynote-Speaker angefragt und ist für Kliniken und Unternehmen als Coach für Teamprozesse mit Schwerpunkt auf der Integration aller Mitarbeitenden tätig.

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