Prof Dr Rüdiger Horstmann

Ran an den Speck

In welch kurzer Zeit die Menschheit Ressourcen verbrennt, deren Entstehung so unvorstellbar lange gedauert hat. Mit einer Metapher bekommt man ein Gefühl für dieses Missverhältnis.

Im letzten Blog hatte ich die Metapher eines „virtuellen Jahres“ eingeführt, um eine zeitliche Vorstellung zu bekommen, wie lange die Entstehung von Kohle, Erdöl und Erdgas gedauert hat. Nun wollen wir uns den Abbau dieser fossilen Brennstoffe anschauen. Der begann mit der industriellen Revolution, also etwa vor 250 Jahren. In unserem virtuellen Jahr war das an Silvester, genauer acht Sekunden vor Mitternacht. Das Automobil als Massenverkehrsmittel ist etwa zwei Sekunden alt. Wir haben also vom Jahreswerk unserer Mutter Erde in acht Sekunden schon jetzt gehörig viel verbraucht – und sicher am meisten in den letzten zwei Sekunden. Mal schauen, wie viele Sekunden das noch gutgeht. Klar, wir wissen, dass die fossilen Brennstoffe begrenzt sind. Wir wissen auch, dass wir mit ihrer Verbrennung das Klima aufheizen. Deswegen setzen wir auf erneuerbare Energie. Bisher ist das aber nur ein zarter Beginn. Wissen allein bringt gar nichts. Nur Handeln bringt Veränderung. Und wird gehandelt? Zeigt das angepriesene Handeln Ergebnisse? Oder wird vor allem geredet?

Menschen auf der ganzen Welt träumen von Wohlstand nach westlichem Vorbild. Der ist eng an das Verbrennen fossiler Brennstoffe geknüpft – ob nun für Mobilität, fürs Heizen und für Kühlung oder in der Industrie. In unserem virtuellen Jahr haben an Silvester um 23:20 Uhr etwa 1.000 bis 10.000 Menschen diese Erde bevölkert. Dann kamen Sesshaftigkeit und Arbeitsteilung und es wurden Regeln und Gesetze für das Zusammenleben eingeführt. Das führte zu einem moderaten Bevölkerungswachstum. Bis zum Beginn der industriellen Revolution, in unserem virtuellen Jahr in 40 Minuten, war die Menschheit auf eine Milliarde angewachsen. Es war nun acht Sekunden vor Mitternacht. In den letzten acht Sekunden bis heute sind es acht Milliarden Menschen geworden! Wie lange werden da die Ressourcen ausreichen?

Die Weltbevölkerung wächst weiter, die Sehnsucht nach Wohlstand bleibt. So werden weiter fossile Brennstoffe genutzt, werden weiter Wälder abgeholzt, wird weltweit betrachtet mehr und mehr Fleisch gegessen, werden mehr Rinder und Schweine gezüchtet. Mit fatalen Folgen. Laut IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) ist es heute bereits weltweit durchschnittlich 1,1 Grad wärmer als zu vorindustriellen Zeiten – an Land plus 1,59 °C und über den Ozeanen plus 0,88 °C.

Es ist keine Beruhigung, dass es in der Erdgeschichte immer Phasen von extremen Klimaschwankungen gab, allerdings noch niemals in so kurzer Zeit. Es wurden Hinweise für Phasen in der Vergangenheit von Treibhausklima und globalen Vereisungen gefunden. Die letzte Eiszeit ist erst vor etwa 10.000 Jahren zu Ende gegangen. Spätestens seit unserem Erdkundeunterricht kennen wir Landkarten und die Umrisse vieler Inseln, Länder und Kontinente. Und die haben sich im Vergleich zu aktuellen Karten nur wegen politischer Umstände verändert. Deutschland war z.B. 1930 größer als heute. Die Küsten- und Flusskonturen sind dagegen unverändert geblieben, durch Deiche gegen Sturmfluten gesichert. In der letzten Eiszeit hatten bis zu drei Kilometer mächtige Eisschilde extrem viel Wasser als Eis gebunden. Der Meeresspiegel lag etwa 130 Meter unter dem heutigen Niveau.[1] Da war damals viel mehr Platz für viel weniger Menschen. Und wir sehen: Die Grenzen zwischen Land und Meer waren nie und sind nicht in Stein gemeißelt.

Aktuell geht es in die andere Richtung und der Mensch scheint ordentlich nachzuhelfen. Während sich in der Vergangenheit Klimaveränderungen unmerklich über Jahrtausende entwickelt haben, bemerken wir in den letzten Jahren deutliche Auswirkungen am eigenen Leib: Hitzeperioden, lange Trockenzeiten, gesunkener Grundwasserspiegel, sterbende Wälder. Und wir lesen und hören von Überschwemmungen, Stürmen und ausgedehnten Waldbränden noch weit weg in anderen Regionen der Welt. Wir leben schon in einer Warmzeit (Holozän) und die Frage ist: Wie ausgeprägt wird sie sich entwickeln? Und wie sehr werden wir durch das Verbrennen fossiler Ressourcen den Prozess beschleunigen und für einen zusätzlichen Treibhauseffekt sorgen? Die Antworten der Wissenschaftler und Zukunftsforscher sind kein Geheimnis und in populären Medien nachzulesen.

Mit einem aktuellen Temperaturanstieg von 1,1 °C sind wir auf dem besten Weg dorthin. Aber was bedeutet das? Polkappen und Gletscher sind schon am Schmelzen. Wie lange werden unsere Deiche halten? Was bedeutet die Erhitzung mit langen Trockenperioden für die Landwirtschaft? Was für Tiere und Pflanzen? Was bedeutet es für uns Menschen?

„Da kann man ja nichts machen. Eis- und Warmzeiten haben sich schon immer abgewechselt – das ist der Lauf der Dinge.“ Man kann so fatalistisch denken und so weiterleben, wie bisher. „Kann man eh nicht ändern.“ Wenn ich als Chirurg Patienten mit Krebserkrankungen behandelt habe, war mir auch klar, dass jeder Mensch einmal sterben muss. Dennoch gehört es zum ärztlichen Selbstverständnis, alles dafür zu tun, das Leben der Patienten zu verlängern und deren Lebensqualität zu verbessern. Der Unterschied zu unserem heutigen Tun und Nicht-Tun in Bezug auf den Klimawandel ist, dass die Konsequenzen uns kaum selbst treffen, sondern unsere Enkel und deren Kinder.

[1] https://www.zamg.ac.at/cms/de/klima/informationsportal-klimawandel/klimavergangenheit/palaeoklima/12.000-jahre

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Prof. Dr. Rüdiger Horstmann

Prof. Dr. Rüdiger Horstmann

Prof. Dr. med. Rüdiger Horstmann, seit 40 Jahren Facharzt für Chirurgie, war Chefarzt und Ärztlicher Direktor eines Krankenhauses in Münster sowie Leiter des Adipositas-Centrums Münster. Er arbeitet jetzt als Buchautor, wird zudem vermehrt als Keynote-Speaker angefragt und ist für Kliniken und Unternehmen als Coach für Teamprozesse mit Schwerpunkt auf der Integration aller Mitarbeitenden tätig.

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