Prof Dr Rüdiger Horstmann

Wenn der Chirurg vom Politiker lernt …

Als Arzt muss ich Patienten ehrlich aufklären und ihnen die Konsequenzen ihres Lebensstils sehr deutlich machen. Müssen Politiker das auch?

Als Gefäßchirurg hatte ich viele Patienten mit einer Schaufensterkrankheit. Wegen der Arterienverkalkung bekommt die Muskulatur nach Beanspruchung auf einer kurzen Wegstrecke nicht genügend Sauerstoff, so dass sie zu schmerzen beginnt. Der Patient bleibt bildlich „an jedem Schaufenster“ stehen, damit sich seine Muskulatur erholen kann.  Neben der Behandlung einiger Risikofaktoren ist es die Aufgabe des Arztes bzw. der Ärztin, den Patienten darauf hinzuweisen, mit dem Rauchen aufzuhören. Nahezu jeder mit dieser Erkrankung ist Raucher und damit aufzuhören ist die wichtigste Voraussetzung vor jeder Therapie.

„Aber das ist so schwierig. Ich habe mich so sehr daran gewöhnt und freue mich jeden Morgen auf die erste Zigarette nach dem Frühstück.“ Der Mann sieht so traurig bei der Vorstellung auf einen solchen Verzicht aus und schließlich will ich ihn ja auch nicht als Patienten verlieren. Also vereinbare ich mit ihm einen Kompromiss: 1,5 Zigaretten pro Tag weniger. OK, nicht sofort, denn das könnte zu schwer werden, aber ab Silvester. 

„Gut, dass kann ich versuchen. Aber ich muss das mit so vielen Körperfunktionen abstimmen. Die müssen allesamt mitziehen. Meine Verdauung hat sich so sehr an das Nikotin gewöhnt. Auch meine Stimmung ist stark davon abhängig. Es hilft niemanden, wenn ich nicht mehr zur Arbeit gehen kann. Und was werden meine Freunde sagen, wenn ich das Rauchen reduziere? Hast du dich zum Gesundheitsapostel entwickelt? Sie sehen, Herr Doktor, ich muss vieles bedenken, wenn ich diesem Kompromiss zustimme. Aber 1-2 Zigaretten weniger ab dem Jahresende, das wird schon gehen.“

Eigentlich ist der Kompromiss überhaupt nicht ausreichend. Ich müsste ihm die Konsequenzen seines Tuns rigoros vor Augen führen. Aber irgendwie tut er mir auch leid. Wer möchte schon seine liebgewonnenen Gewohnheiten aufgeben und auf Annehmlichkeiten und Genuss verzichten? Als Arzt oder Ärztin bekommt man schnell den Ruf einer Verbotsinstanz, und Patienten wechseln gern dorthin, wo man mehr Verständnis für sie hat. Natürlich kann er sein Bein verlieren, wenn er so weiterlebt oder sogar daran sterben. Aber das geschieht in der Zukunft und wir leben ja nun einmal in der Gegenwart und sterben müssen wir alle einmal. Also Carpe diem – genieße den Tag.

Weitere Symptome, von denen Patienten mir als Gefäßchirurgen berichtet haben, sind kurzfristige Blindheit auf einem Auge und kurze einseitige Lähmungserscheinungen. Häufig ist die Ursache eine Verkalkung der Halsschlagadern. Nach wenigen Minuten ist alles wieder gut. Man kann solche Episoden also auch ignorieren. Sie gelten aber als erstzunehmendes Alarmzeichen und Vorboten eines viel schlimmeren Ereignisses. Und dabei handelt es sich um einen manifesten Schlaganfall, der schlimmstenfalls zum Tod führen kann oder aber zur lebenslangen Halbseitenlähmung mit Bettlägerigkeit und Sprachverlust. Auch Patienten mit diesen Vorboten müssen unter anderem mit dem Rauchen aufhören.

Menschen ändern liebgewonnene Gewohnheiten immer dann, wenn entweder durch die Änderung Freude zu erwarten oder Schmerz zu vermeiden ist. Was aber, wenn etwas Spaß macht und (noch) nichts wehtut? Die Vorboten waren schon etwas unheimlich, aber jetzt ist ja alles wieder in Ordnung. Gut, auf den Zigarettenschachteln sind ziemlich drastische Warnungen abgebildet, aber die betreffen ja nicht mich, sondern andere. 

Letztlich ist es Aufgabe des Arztes bzw. der Ärztin, dem Patienten reinen Wein einzuschenken, ihn mit deutlichen Worten über sämtliche Konsequenzen aufzuklären. Solche Gespräche müssen auch bei anderen Patienten zum Beispiel solchen mit Krebserkrankungen geführt werden. Sie sind nicht einfach, vor allem wenn man den Anspruch hat, dass sich nachhaltig etwas ändert und dass es jeder versteht. Aber dazu braucht es Klarheit und kein Schönreden. Und vielleicht braucht es dazu auch Schmerz. Und wenn dieser noch in der Zukunft liegt, braucht es zumindest die Beschreibung des Schmerzes als Konsequenz des eigenen Handelns.

Warum erzähle ich das? Ist doch alles klar. Aber wenn man sich die angebotenen Lösungen auf gesellschaftliche und politische Herausforderungen heute anschaut, ist gar nichts so klar. 

In den letzten drei Jahren haben uns zwei einschneidende Ereignisse erschüttert, die Covid Pandemie und ein brutaler Eroberungskrieg mitten in Europa. Auf die Pandemie ist teilweise unangemessen übertrieben reagiert worden, und eine genaue Analyse der Sinnhaftigkeit von Maßnahmen zu Abwehr eines die Menschheit bedrohenden Virus und ein Vergleich mit den Maßnahmen anderer Länder steht meines Erachtens noch aus. Muss ja nicht das letzte Virus gewesen sein. Das zweite Ereignis, der Krieg in der Ukraine hat uns die Abhängigkeit unseres Wohlstands von der Einfuhr billiger Energie aus Russland und von billigen Produktionsketten in China gezeigt. Auf einmal wurde Benzin und Gas teuer und Mundschutz und Medikamente knapp.

Was macht die Regierung? Sie subventioniert Benzin und Gas. Damit die Autofahrer in ihrer Mobilität nicht eingeschränkt werden. Es wird damit deutlich suggeriert, dass alles so bleiben kann, wie es mal war. Alle können beruhigt sein, denn es muss sich nichts ändern. Und diese kurze Härtephase werden wir schon gemeinsam überstehen. Was aber, wenn Covid und Krieg nur Vorboten eines viel schlimmeren Ereignisses sind? Beides ist durchaus geeignet, uns Menschen zu größerer Demut gegenüber dem Leben, unserer Mutter Erde und dem Klima zu verleiten. Wenn ausgebeutete Ressourcen wie unsere fossilen Brennstoffe teurer werden, ist das insofern zu begrüßen, dass allen Menschen deren Endlichkeit gezeigt wird. Durch höhere Preise wird es etwas „schmerzhafter“, seine gewohnte Mobilität aufrecht zu erhalten. Damit könnte die schon oft in Reden angepriesene Verkehrswende zu größeren Taten führen. Tempolimit, ÖPNV statt Individualverkehr, Schienen- statt Straßenausbau, Fahrradwege, Busspuren. Du musst in der Stadt mit dem Bus schneller und komfortabler unterwegs sein als mit dem Auto. Ich höre schon den Protest. Ja, Transformation kann weh tun. Wer möchte schon Veränderung? Eigentlich jeder. Solange sie mich nicht betrifft. Was für eine Vorlage? Stattdessen wurde das Benzin subventioniert. 

Prof. Dr. Rüdiger Horstmann

Prof. Dr. Rüdiger Horstmann

Prof. Dr. med. Rüdiger Horstmann, seit 40 Jahren Facharzt für Chirurgie, war Chefarzt und Ärztlicher Direktor eines Krankenhauses in Münster sowie Leiter des Adipositas-Centrums Münster. Er arbeitet jetzt als Buchautor, wird zudem vermehrt als Keynote-Speaker angefragt und ist für Kliniken und Unternehmen als Coach für Teamprozesse mit Schwerpunkt auf der Integration aller Mitarbeitenden tätig.

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